Keine Steuerhinterziehung wenn das Finanzamt nach Datenlage Bescheid weiß

Nachdem dem Finanzamt im vorliegenden Fall deutlich wurde, dass die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung vorlagen, erließ es für ein gemeinsam veranlagtes Ehepaar im Jahr 2018 Schätzungsbescheide für die Streitjahre 2009 und 2010. Die Kläger erkannten dieses nicht an, da die Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Das Finanzamt ging demgegenüber von einer verlängerten Festsetzungsfrist wegen vollendeter Steuerhinterziehung aus. Das Finanzgericht Münster entschied im Juni 2022, dass kein objektiver Verkürzungstatbestand vorliegt, wenn pflichtwidrig keine Steuererklärung abgegeben wird – dem Finanzamt aber alle erforderlichen Informationen in Form elektronischer Lohnsteuerbescheinigungen vorliegen.

Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Da bis einschließlich 2008 lediglich der Ehemann Arbeitslohn bezog, hatte das Finanzamt den Fall als Antragsveranlagung gespeichert. Ab 2009 erzielte auch die Ehefrau Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. Die elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen wurden im Datenverarbeitungsprogramm des Finanzamts unter der Steuernummer der Kläger erfasst. Da der Fall dennoch weiterhin als Antragsveranlagung gespeichert war, forderte das Finanzamt die Kläger zunächst nicht zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen auf und die Kläger gaben auch keine Erklärungen ab.keine Steuerhinterziehung

Die Datenverarbeitungsprogramme der Finanzverwaltung hätten es in den Streitjahren noch nicht ermöglicht, so das beklagte Finanzamt, aufgrund der übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen auf das Vorliegen einer Pflichtveranlagung zu schließen. Eine manuelle Überprüfung sei aufgrund der Vielzahl der Fälle tatsächlich unmöglich gewesen. Im Übrigen hätten es die Kläger vorsätzlich unterlassen, Einkommensteuererklärungen abzugeben.

Das Finanzgericht Münster folgte dem nicht und entschied, dass bei Erlass der Bescheide im Jahr 2018 für die Streitjahre 2009 und 2010 die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen gewesen sei. Die Frist habe sich nicht auf zehn oder fünf Jahre verlängert, weil bereits objektiv weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliege. Das Finanzamt könne nur über solche Umstände in Unkenntnis gelassen werden, über die sie nicht bereits informiert sei. Das Steueraufkommen sei nicht schließlich gefährdet, wenn die Finanzbehörden tatsächlich über alle wesentlichen Umstände informiert sind.

Im Streitfall seien die Kläger zwar verpflichtet gewesen, Einkommensteuererklärungen einzureichen, weil sie Arbeitslohn bezogen haben, aber allein die Verletzung von Erklärungspflichten reiche nicht aus, um so einen objektiven Verkürzungstatbestand zu konstruieren. Dem Finanzamt seien aufgrund der vorliegenden elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen, die unter der Steuernummer der Kläger gespeichert waren, vielmehr alle maßgeblichen Umstände bekannt gewesen.

Der Münsteraner Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen, da zu der streitigen Frage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliege.

Finanzgericht Münster, Urteil vom 24.6.2022; AZ – 4 K 135/19 E –

Foto:  Janet Worg

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