Zwischen Freizeitopfer und Arbeitszeit: Was bedeuten Reisezeiten im Berufsalltag?

Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom Mai 2023 wirft ein Licht auf die komplexe Thematik der Reisezeiten als Arbeitszeit, insbesondere im Kontext von Speditionsunternehmen. Im Kern der Entscheidung steht die Frage, ob die Zeiten, die Mitarbeiter auf Reisen, speziell mit der Bahn, verbringen, um Arbeitsaufgaben zu erfüllen, als Arbeitszeit gewertet werden sollten.

Im konkreten Fall ging es um ein Speditionsunternehmen, das sich auf die Überführung von Nutzfahrzeugen spezialisiert hat. Das VG Lüneburg hat Frage klar beantwortet und damit die Tür aufgemacht, Freizeit und Arbeitszeit neu zu bewerten. Die Mitarbeiter, die mit der Bahn zu den Abholorten der zu überführenden Fahrzeuge reisten, verbrachten diese Reisezeiten im Dienste des Unternehmens, obwohl sie während der Bahnfahrt in der Gestaltung ihrer Zeit theoretisch frei waren, urteilten die Richter. Das Unternehmen hingegen argumentierte, dass den Mitarbeitern lediglich ein „Freizeitopfer“ abverlangt werde, da sie während der Bahnfahrt nicht aktiv arbeiten müssten.

Freizeitopfer oder Arbeitszeit: Was bedeuten Reisezeiten im Berufsalltag?Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg stellt klar, dass nicht die physische oder psychische Belastung während der Reisezeit entscheidend ist, sondern die Tatsache, dass die Mitarbeiter während dieser Zeit nicht frei über ihre eigenen Aktivitäten bestimmen können. Die Dauer und das Ziel der Reise werden vom Arbeitgeber bestimmt, und die Reise selbst ist Teil der Leistungserbringung. Daher zähle die Reisezeit als Arbeitszeit.

Interessant ist, dass das Gericht hierbei von der bisherigen Definition des Bundesarbeitsgerichts (BAG) abweicht und sich auf europarechtliche Grundlagen beruft. Die europarechtliche Begriffsbestimmung fokussiert darauf, ob der Arbeitnehmer während der in Frage stehenden Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Dieser Fall könnte somit weitreichende Implikationen für die Diskussion um die Anerkennung von Reisezeiten als Arbeitszeit haben, indem er die Kriterien, die für eine solche Anerkennung herangezogen werden, potenziell verändert.

Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich diese Entscheidung auf zukünftige Fälle und möglicherweise auf die Gesetzgebung auswirken wird – es zeigt in jedem Fall einen interessanten Einblick in die fortlaufende Entwicklung des Arbeitsrechts im Kontext von Reisezeiten. Es könnte den auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen von Bedeutung sein, wenn es um die Planung und Bewertung von Arbeitszeiten geht, die auf Reisen verbracht werden.

Verwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 2.5.2023; AZ –  3 A 146/22 –

Foto:  Gina Sanders

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