Das Finanzamt kann die Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten gestatten, wenn der Gesamtumsatz des Unternehmers im vorangegangenen Kalenderjahr aktuell nicht mehr als 600.000 Euro betragen hat. Das ist besonders bei Neugründungen wichtig und interessant, da in dem Fall die Umsätze entweder noch nicht bekannt sind oder gar stark schwanken.
Das Finanzamt gestattet dann, dass Unternehmer die Steuer nicht nach den vereinbarten Entgelten sondern nach den vereinnahmten Entgelten berechnen dürfen – man spricht dann von Ist-Besteuerung. Sind die Angaben des Unternehmers unrichtig oder unvollständig (ist die Schätzung also nicht haltbar oder nicht substanziell genug gewesen), darf das Finanzamt die Genehmigung der Ist-Besteuerung für das Gründungsjahr wieder zurücknehmen. Das ist auch der entscheidende Teil des Urteils des Bundesfinanzhof vom November 2020.
Das bedeutet für die Gründer, dass in einem solchen Fall die Höhe des Gesamtumsatzes im Gründungsjahr nach den voraussichtlichen Verhältnissen ermittelt wird und auf das gesamte Jahr hochgerechnet; dabei werden die Grundsätze der Soll-Besteuerung angewendet. Damit kommt es auf die Erbringung der Leistung des Unternehmers an und nicht auf die Bezahlung durch den Kunden. Kurz gesagt: Eine „offene Rechnung“ muss trotzdem „versteuert“ werden. Denn grundsätzlich entsteht etwa die Umsatzsteuer immer mit der Ausführung der Leistung, so dass es eben nicht auf die Bezahlung durch den Kunden nicht ankommt.
Wie kam es zu dieser Entscheidung des Bundesfinanzhof? Die Klägerin hatte September 2011 eine GbR gegründet, die Photovoltaikanlagen errichtete. Sie beantragte beim Finanzamt die Ist-Besteuerung und erklärte, dass sie in dem Jahr voraussichtlich Umsätze in Höhe von 30.000 Euro erzielen würde. Das Finanzamt gestattete daraufhin denn auch die Ist-Besteuerung. Die Klägerin hatte allerdings im November 2011 bereits einen Vertrag über die Errichtung einer Photovoltaikanlage zum Gesamtpreis von ca. 1.258.000 Euro netto abgeschlossen und für die Montage 450.000 Euro zuzüglich Umsatzsteuer vereinbart. Schon im Dezember schloss sie die Montage ab und stellte ihrem Auftraggeber 450.000 Euro plus Umsatzsteuer in Rechnung. Der Auftraggeber zahlte ihr im ablaufenden Jahr noch einen Teilbetrag von 78.000 Euro. Als das Finanzamt davon erfuhr, nahm es die Gestattung der Ist-Besteuerung zurück. Das war auch rechtens wie das Gericht entschied: Die Gestattung der Ist-Besteuerung sei gar rechtswidrig, da der voraussichtliche Gesamtumsatz der Klägerin den noch im Jahr 2011 gültigen Höchstbetrag von 500.000 Euro übersteigen würde.
Da die Firma im September gegründet wurde, im Jahr 2011 also nur vier Monate existierte, war der zu erwartende Umsatz von 450.000 Euro auf das gesamte Jahr hochzurechnen, so dass sich ein Gesamtumsatz von 1.350.000 Euro ergab, der deutlich über der damaligen gesetzlichen Umsatzgrenze für die Ist-Besteuerung lag. Der Verwaltungsakt (besagte Ist-Besteuerung) durfte vom Finanzamt zurückgenommen werden, da die Klägerin unrichtige Angaben gemacht hatte; sie hatte schließlich nur einen voraussichtlichen Gesamtumsatz von 30.000 Euro angegeben.
Urteile des Bundesfinanzhof vom 11.11.2020; AZ – XI R 40/18 – und – XI R 41/18 –
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