Wird gegenüber dem Finanzamt eine Stellungnahme zu einer streitigen Frage abgegeben, die nicht als Einspruch ausgelegt werden kann, kommt eine Umdeutung in einen Einspruch durchaus in Betracht. Dies hat das Finanzgericht Münster in seinem Urteil vom Januar 2023 entschieden.
Worum ging es? Das Finanzamt stellte schriftliche Anfragen an die beiden Kläger bezüglich der Haftungsinanspruchnahme für Steuerschulden einer KG. Obwohl der Prozessvertreter der Kläger eine Fristverlängerung beantragte, erhielt das Finanzamt keine weiteren Rückmeldungen. Aus diesem Grund erließ es Haftungsbescheide und stellte diese beiden Klägern an ihre Privatanschrift zu. Der Prozessbevollmächtigte reagierte innerhalb der Einspruchsfrist auf die vorherigen Anfragen des Finanzamts. Allerdings waren ihm die Haftungsbescheide zum Zeitpunkt seiner Stellungnahme nicht bekannt.
Nachdem er von den Bescheiden Kenntnis erlangte, erklärte dieser, dass seine vorherigen Schreiben als Einspruch zu werten seien. Allerdings waren die Einspruchsfristen zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen, weshalb das Finanzamt die Einsprüche als unzulässig verwarf. Die Kläger erhoben daraufhin eine Klage, in der sie lediglich die Aufhebung der Einspruchsentscheidungen beantragten.
Das Finanzgericht erklärte dazu, dass das Finanzamt die Einsprüche in der Tat zu Unrecht als unzulässig verworfen habe. Die Haftungsbescheide seien zunächst an die Privatadressen der Kläger zugestellt worden, da der Prozessvertreter zuvor keine Vollmachten vorgelegt habe. Die innerhalb der Einspruchsfrist eingegangenen Schreiben könnten nicht als Einsprüche ausgelegt werden, aber in solche umgewandelt werden. Eine Auslegung scheitere daran, dass der wirkliche Wille nicht auf Anfechtung der Haftungsbescheide gerichtet gewesen sein könne, weil dem Prozessvertreter die Bescheide nicht bekannt gewesen seien.
Die Richter entschieden denn auch, dass es möglich ist, ein nichtiges Rechtsgeschäft in ein wirksames umzudeuten, wenn ein entsprechender Wille vorhanden ist. Diese zivilrechtliche Vorschrift gilt auch im Steuerrecht und ermöglicht eine Umdeutung selbst bei „sinnlosen“ Verfahrenserklärungen, um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall war das Ziel der beiden Stellungnahmen des Prozessvertreters, die Haftungsinanspruchnahme der Kläger zu verhindern. Obwohl er Einsprüche gegen die Haftungsbescheide hätte einlegen können, hat er dieses Ziel nur durch die Einlegung von Einsprüchen erreichen können. Das Gericht sieht keinen vernünftigen Grund, warum er nicht gegen die Bescheide Einspruch eingelegt hätte, wenn er von deren Existenz gewusst hätte.
Hiervon sei eine Ausnahme vor allem dann zu machen, wenn dem Rechtsvertreter die tatsächliche Verfahrenssituation nicht bekannt ist, daher sei es auch unerheblich, dass die Kläger ihren Prozessvertreter schuldhaft nicht rechtzeitig über die Zustellung der Haftungsbescheide informiert hätten.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 12.1.2023; AZ – 8 K 1080/21 –
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